Herbst im Maggia- und Verzascatal

Ausgabe 5/2019

Inhaltsübersicht

  • Überleben zwischen steilen Felsen
  • Wanderer statt Alphirten
  • Wo Wandern Teil der Arbeit war
  • Bäumiges Paradies mit Vergangenheit
  • Jetzt zeichnen Sie Ihre Wanderungen selbst
  • Zeigt her eure Schuhe!

Die Topografie des Verzasca- und des Maggiatals verlangt den Wandernden viel ab. Die Aufstiege fordern viel Energie und Schweiss, doch sie geben auch viel Schönes zurück: im Lodanotal Kastanien, im Bavonatal stille Alpen, auf der Efrahütte weite Aussichten und auf dem Maiensäss Revöira die erfrischende Kühle der Steinhäuser. Im Lodanowald kamen wir hinter das Geheimnis, weshalb alte Kastanienbäume früher auf einen Meter zurückgestutzt wurden. Mit ihren langen Trieben rund um die Schnittstelle sehen sie heute ja ganz lustig aus. Die Stecken nutzten die Bauern damals, um die Reben zu stützen und Zäune zu bauen. Hätten sie die dicken Stämme ebenerdig gefällt, die Ziegen wären über die Triebe hergefallen. Oder wissen Sie, warum die Bauern Trockenmauern ausgerechnet mitten im Wald bauten, obwohl es dort meist keine Kühe einzusperren gibt? Mehr dazu in der Reportage. Solche Geschichten finden sich zuhauf im Tessin. Wir haben sie aufgespürt.

Überleben zwischen steilen Felsen

Senkrechte Felswände, ein reissender Bach, hausgrosse Felsblöcke: Wer im Val Bavona zuhinterst im Maggiatal TI überleben will, braucht einen starken Willen. Den hatte Gori. Trotzdem verliess der junge Mann das Tal vor 100 Jahren – um später wieder zurückzukehren. Eine Wanderung auf den Spuren eines Rastlosen.

Maddalena war auf die Alp gestiegen, den langen, steilen Weg nach Solögna. Insgeheim hoffend, ihren Gori davon abzubringen auszuwandern. Wie sie für einen kurzen Moment alleine sind, streckt sie die Hand nach Gori aus, streicht ihm über die Haare ... «... ich verfluche noch heute das Bähnchen, das mich forttrug. Wenn ich noch einmal zurückkönnte – ich schwöre dir, ich würde mich auf meinen Koffer setzen und mich nicht von der Stelle rühren ...» So beginnt Plinio Martini (1923–1979) seinen Roman «Il fondo del sacco», der das Leben im Bavonatal Anfang des 20. Jahrhunderts beschreibt und das Leben von Gori, den weder seine Liebe noch die eigenen Zweifel davon abhalten konnten, in den Zug zu steigen und aufs Schiff nach Amerika.

Des Schicksals Knecht

Die Alpe di Solögna überrascht mit ersten 300 ruppigen Metern. Sie führen durch den steilen Kessel des Corte Mött auf einen Felssporn, von wo man den Eindruck hat, die Alp schmiege sich sanft an die senkrechten Flanken des gleichnamigen Gipfels. Hier also hätte Gori das Blatt noch wenden können. Das hofft auch die Leserin von «Il fondo del sacco», die sich auf den Weg zu den Schauplätzen des Romans macht. Aber sie weiss, dass Gori sein Schicksal längst aus der Hand gegeben hat und dass es ihn dazu bringt, dem Bavonatal zu entfliehen, wo es schwierig war «... einen Centesimo in der Tasche zu haben, zu dem man sagen konnte: ‹Du gehörst mir, mit dir tu ich, was ich will ...›», wo die Leute öfter durch einen Unglücksfall starben, als auf natürliche Weise; wo das Essen aus Polenta und Milch bestand, aus Kartoffeln, Käse und Focaccia und bereits Roggenbrot die Ausnahme war, wo man Fleisch nur zu Weihnachten auf dem Teller sah oder im Sommer, wenn eine Kuh zu Tode stürzte, und wo Don Giuseppe Fiscalini, der Pfarrer, den Himmel gegen ein armes, aber frommes Leben versprach.

«Die Welt war nicht so schlecht, wie Plinio Martini sie in ‹Il fondo del sacco› beschreibt », widerspricht Bruno Donati. Der 75-jährige Geograf und langjährige Kurator des Museo di Valmaggia ist eine Generation jünger und hat während eines halben Jahrhunderts im Maggia-, Bavona- und Lavizzaratal geforscht. Es stimme, räumt er ein: «Die Leute waren arm. Aber es wurde doch auch gelacht, erzählt und gesungen. Man traf sich, lebte in einer funktionierenden Gemeinschaft. Es gab viel Solidarität.» Für Plinio Martini, meint Bruno Donati, sei die Welt im Bavonatal zu eng gewesen. «Statt Primarlehrer in Cavergno zu werden, hätte er studieren und an die Universität gehen sollen.»

Steine regieren die Welt

Auf der Fahrt nach San Carlo, zum Ausgangspunkt dieser Wanderung im Bavonatal, bot sich die Gelegenheit, dieses vom Gletscher geformte Trogtal flüchtig zu erkunden: Es beginnt bei Cavergno, zuhinterst im Maggiatal auf 459 Metern ü. M., und endet auf 3272 Metern ü. M., am Gipfel des Basòdino. Der Talboden zwischen den fast senkrecht abfallenden Felswänden ist mit haushohen Blöcken übersät. Doch da und dort hat der Fiume Bavona über die Jahrhunderte mit seinem Geschiebe etwas flachen Boden geschaffen.

Da stehen die zwölf Terre. So nennen die Leute ihre Weiler. Terre eben, wo es Boden gibt, gerade genug, um etwas Gemüse, Getreide oder Kartoffeln anzubauen. Bruno Donati kann die Kargheit des Tals mit Zahlen belegen: 1,5 Prozent der Fläche machen Gärten und Äcker aus. 13 Prozent bestehen aus Wald, 15 Prozent aus Weide. Der Rest, 70 Prozent, aus Eis, Fels und Geröll...

Wanderer statt Alphirten

Die steilen Hänge des Verzascatals sind gespickt mit unzähligen Maiensässen und Alphütten. Viele der eindrücklichen Steinhäuser und Plattenwege drohen endgültig zu zerfallen. Ein Verein von Freiwilligen hat einige wieder instand gestellt, ermöglicht authentische Wanderungen – und verspricht dem Tal eine Zukunft.

Wo Wandern Teil der Arbeit war

 

An den steilen Hängen ob Lavertezzo liegt Revöira, ein Maiensäss ohne Wasser, jedoch mit sehr viel Heu. Mehrmals pro Jahr stiegen deshalb die Bauern zwischen den Alpen, dem Maiensäss und dem Tal auf und ab. Eine Familienwanderung führt dorthin, wo früher vor allem Fleiss und Schweiss zählten.

 

Bäumiges Paradies mit Vergangenheit

Der Lodanowald im Maggiatal hat eine bewegte Geschichte hinter sich – bis man vor gut 50 Jahren aufhörte, ihn zu nutzen. Das soll so bleiben, in Zukunft sogar als Unesco-Welterbe. Eine Wanderung durch das Waldreservat führt zu Zeugen einer Zeit, als im Valle di Lodano geholzt wurde, als gäbe es kein Morgen.

Jetzt zeichnen Sie Ihre Wanderungen selbst

Die Serviceplattform www.wandern.ch wird immer raffinierter. Ab sofort können Nutzerinnen und Nutzer eigene Wanderungen planen, zeichnen, exportieren, ausdrucken und verwalten. Dazu brauchen sie ein Benutzerkonto und Zugang zu den Wandervorschlägen als Abonnenten des Magazins WANDERN.CH.

Zeigt her eure Schuhe!

Wanderschuhe, die nicht passen, können der Familie bald die Wanderung vermiesen. Es lohnt sich also für Eltern, sich Zeit zu nehmen für den Schuhkauf. Immer wieder, denn die Füsse der Kleinkinder wachsen rasch. Ein Ratgeber mit Praxistest.