Fremde Heimaten
Ausgabe 5/2017
Inhaltsübersicht
- Karges Bolivien im Val Bever
- Äthiopiens Berge im Freiburgischen
- Ein Tal hilft sich selbst
- Ein Stück Indien im Saanenland
- Die härtesten Tester der Welt
Ein Bolivianer, eine Russin, ein Äthiopier und eine Taiwanesin finden ihre Heimat in den Schweizer Bergen – im Val Bever, im Entlebuch, im Freiburgischen und im Tessin: Wenn Yussif Calderón das Heimweh packt, wandert er durchs Val Bever GR. «Die braungrüne Vegetation, die Form der Berge, die Wege, es ist wie zu Hause», schwärmt der Bolivianer und zeigt ein Foto aus Südamerika. Ihre Heimat in der Schweiz finden auch andere: der Äthiopier Mohamed Moussa im Breccaschlund FR, die Russin Lena Vdovina Beck auf der Marbachegg LU und die Taiwanesin Pailing Tsai im Val Calnègia TI.
Karges Bolivien im Val Bever

Yussif Calderón hat in Bolivien Medizin studiert und zählte zu den beliebtesten Bergführern seines Landes. Er rettete Leben. Dann brachte ihn die Liebe in die Schweiz, wo er als Handlanger anfing und sich zum Arzt hocharbeitete. Wenn ihn heute das Heimweh packt, wandert er durchs Val Bever: Hier findet er sein Bolivien.
«Mein Name ist Yussif Calderón, ich wurde 1971 in der Hauptstadt von Bolivien geboren. La Paz liegt auf 3600 Metern über Meer. Ich bin Assistenzarzt im Spital Wattwil, Abteilung Chirurgie. Ich wohne mit meiner Schweizer Frau Alessandra in Winterthur, 439 Meter über Meer. Am Bahnhof Winterthur hat Alessandra heute Morgen ihren Höhenmeter kalibriert. Er zeigt jetzt 2128 Meter über Meer, das stimmt genau mit der Karte überein, wir sind auf Zembers da Suvretta im Val Bever. Alessandra hat gerade gesagt, er sehe aus wie der Illimani, wenn man ihn von hinten sieht. Und das stimmt. Es ist der Piz Grisch, 3098 Meter hoch. Der Illimani ist 6438 Meter hoch, es ist der zweithöchste Berg in Bolivien, man sieht ihn von La Paz aus. Der Illimani ist der Berg unserer Liebe und der Berg meiner Leidenschaft. Alessandra und ich haben uns dort kennengelernt. Am Illimani hat alles begonnen. Später haben wir dort geheiratet. Wenn ich hier durch das Val Bever wandere, dann erinnert mich fast alles an den Illimani. Diese braungrüne Vegetation, die Form der Berge, die Wege, es ist wie zu Hause.» Yussif Calderón erzählt in gutem Deutsch. Er hat es mühsam erlernt. Jeden Dienstag ist Deutschkurs, er arbeitet noch daran, das Goethe-Zertifikat zu erreichen. Yussifs Geschichte handelt von Ausdauer, von Kraft und vom Weitergehen. Bolivien ist ein armes Land. Yussifs Vater arbeitete im Umweltministerium als Sekretär, heute hat er eine Rente von 250 Franken pro Monat, was knapp reicht. Mittelklasse, sagt Alessandra.
Äthiopiens Berge im Freiburgischen

Die Berge, der Wasserfall, der Pass: Die Wanderung entlang des Freiburger Breccaschlunds erinnert Mohamed Moussa an seine Heimat Äthiopien. Und daran, wie er die Schule schwänzte und stattdessen mit seinen Freunden unter einem Wasserfall duschte.
«Die Leute staunen», sagt Mohamed Moussa, «wenn ein Schwarzer gut und modern ausgerüstet in den Bergen wandert. » «Was, ein Schwarzer, der wandert? », fragen sie. Mohamed wandert, so oft er kann. Er wandert allein und mit seiner Familie, über Land, in den Bergen oder quer durch die Stadt, vom einen Ende zum anderen. «Wenn ich nicht mehr wandern könnte, nicht mehr gehen ...», beginnt er den Satz und wagt nicht, ihn zu Ende zu sprechen.
Ein Tal hilft sich selbst

Blühende Blumenfelder erfreuen im Puschlav nicht nur das Auge des Wanderers, sondern sehr oft auch den Gaumen von Teeliebhabern und Feinschmeckern. Im Biowunderland – das Val Poschiavo hält den Schweizer Rekord an Biobetrieben – bringen unter anderem die Kräuter neuen Aufschwung.
Es kommt einem vor wie ein verwunschenes Tal hinter den sieben Bergen. Wer ins Puschlav will, muss zuerst den Berninapass überwinden. Das ist allerdings eher ein Dürfen als ein Müssen. Denn die Strecke vorbei an Gletschern, über Viadukte und Schluchten ist – vor allem im Cabriowagen der Rhätischen Bahn an der frischen Luft sitzend – derart imposant und schön, dass der Entscheid der Unesco-Welterbekommission nur begrüsst werden kann, die Bahnstrecke Albula–Bernina ins Verzeichnis der beeindruckendsten Landschaften der Welt aufzunehmen.
Ein Stück Indien im Saanenland

Yoga lässt sich ganz gut mit Wandern verbinden, findet Sabine Kunz. Deshalb wandert die Berner Oberländer Yogalehrerin mit ihren Schülerinnen und Schülern am liebsten an den Louwenesee. Dort – und überhaupt im ganzen Saanenland – hat Yoga eine lange Tradition. Begründet wurde diese durch den bekannten Musiker Yehudi Menuhin.
Am Himmel über Lauenen zieht ein prachtvoller Milan bedächtig seine Kreise. Eine schimpfende Krähe umflattert ihn wütend und zugleich ängstlich. Doch der mächtige Greifvogel lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Unerschütterlich setzt er seinen Flug fort. «Genau so sollten auch wir Menschen es machen», sagt Sabine Kunz: «Der Milan lässt sich nicht von Kleinigkeiten ablenken, sondern hält an seiner Linie fest.» Eine solche Haltung versuche sie auch in ihrem Unterricht zu vermitteln. Yoga ist für sie nicht einfach ein System von Dehnungs-, Kräftigungs- und Entspannungsübungen, sondern auch eine Lebenseinstellung.
Es ist ein Herbsttag wie im Bilderbuch. Am Morgen waberten im Saanenland noch Nebelzotten über den Wiesen, doch schon bald setzt sich die Sonne durch. Am Louwenesee ist die bunteste Zeit des Jahres angebrochen. Das Riedgras schimmert in unzähligen Farbtönen von warmem Ockergelb bis zu feurigem Rostrot. Zwischen dunkelgrünen Tannen ragen golden leuchtende Lärchen in die kristallklare Bergluft. Ein tiefblauer Himmel wölbt sich über den Bergen, deren höchste Spitzen mit einem ersten Hauch von Schnee überzuckert sind.
Die härtesten Tester der Welt

Kinder achten nicht auf die Ausrüstung, sondern bewegen sich frei. Manchmal strapazieren sie ihre Ausrüstung auch auf unkonventionelle Art. Besteht diese den kindlichen Belastungstests, kann man getrost von Qualitätsprodukten reden. Der Nachwuchs des WANDERN.CH-Teams hat sich Kleidern, Schuhen und Rucksäcken angenommen.
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