Trügerische Idylle
Ausgabe 2/2016
Inhaltsübersicht
- Das Verderben sitzt im Rosenbusch
- Wo die Weibchen das Sagen haben
- Trotz Stacheln ein leichtes Opfer
- Museumsbesuch in Wanderkleidern
In satten Weiden unter strahlendem Himmel geht das Leben seinen Lauf von Fressen und Gefressenwerden. Im Laufental BL spiesst der Neuntöter Käfer und kleine Mäuse auf Dornen auf. Am Rhoneknie VS findet sich die Gottesanbeterin, die ihrem Männchen manchmal den Kopf abbeisst. In Mels SG steht eine Igelstation, wo Tiere gepflegt werden, die zum Opfer ihrer Parasiten wurden. Und im Grimselgebiet BE wächst der Sonnentau, der Insekten frisst. Vier Wanderungen in eine faszinierende Natur.
Das Verderben sitzt im Rosenbusch

Der Neuntöter liebt Heckenrosen über alles, doch seine Vorliebe ist alles andere als idyllisch. Auf Dornen spiesst er Käfer, Heuschrecken und kleine Mäuse auf. Zu Hause ist der Singvogel mit der auffälligen Räubermaske auf naturnah bewirtschafteten Weiden wie denjenigen am Blauen im Laufental im Baselbiet.
Manchmal trifft es eine unvorsichtige Jungmaus. Oft muss ein Maikäfer dran glauben. Und selbst die filigrane Libelle oder die stachelbewehrte Wespe können sich ihres Lebens nie sicher sein. Von seiner Warte aus – einem Rosenbusch, einer Berberitze oder einem Schwarz- oder Weissdorn – späht der Neuntöter nach Beute in der nahen Umgebung. Plötzlich geht es schnell. Wie ein Pfeil schiesst er los, bringt den Flug der Wespe oder Libelle durcheinander und ergreift sie in der Luft. Der ahnungslosen Maus nähert er sich scheinbar desinteressiert, über die Wiese hüpfend. Ihr Dasein beendet er mit einem sauberen Biss ins Genick.
Vorräte für magere Zeiten
Zurück im Rosenbusch, zeigt sich dessen wahrer Wert. Maus, Wespe und Libelle werden auf Dornen und spitzen Ästen aufgespiesst, eine neben der anderen. Dergestalt warten sie auf die weitere Bearbeitung. Unverdauliches wie Flügel, Beine oder Stachel werden abgetrennt, der Rest schnabelgerecht zerkleinert und verzehrt. Das sogenannte Spiessen hat dem Neuntöter seinen Namen eingetragen. «Man beobachtete, dass der Vogel mehrere Tiere aufspiesst. Weil ‹neun› damals gleichbedeutend war wie ‹viel›, gab man ihm den Namen Neuntöter», erklärt Feldornithologin Margrit Jermann. Das Spiessen dient aber nicht nur dem Bearbeiten der Beute. Der Neuntöter legt sich auf diese Weise Vorräte an, und er bewirtschaftet sein Lager: Was nicht mehr frisch ist oder verwest, wird entfernt. «Die Vorräte bewahren den Neuntöter davor, in mageren Zeiten zu hungern.» Magere Zeiten heisst: kein oder wenig Jagderfolg wegen schlechten Wetters oder weil das Angebot an Beutetieren knapp ist. Damit Letzteres nicht passiert, stellt der Singvogel hohe Anforderungen an sein Revier. «Der Neuntöter ist ein Wartenjäger. Er braucht gute Aussichtspunkte, von denen aus er seine Jagdflüge startet», sagt Margrit Jermann. Am liebsten sind ihm reich strukturierte, halboffene Landschaften. Weiden zum Beispiel, die mit Hecken durchsetzt sind, sowie lichte, buschreiche Waldränder. Ist die Landschaft zu dicht bewachsen, fehlt ihm die Übersicht, aufgeräumte Weiden bieten zu wenig Jagdplätze. Nicht zu hoch ausfallen darf zudem das Gras, sind doch im niederen Grün die Insekten für den Neuntöter am einfachsten zu erbeuten. Am besten sei es, wenn rund um das Gebüsch, in dem ein Neuntöter lebt, ein Krautsaum stehe. Zudem sollte die Weide nicht zu stark gedüngt sein, weil es sonst an Insekten fehle...
Bild: Alain Saunier
Wo die Weibchen das Sagen haben

Im Naturschutzgebiet Les Follatères am Rhoneknie leben Gottesanbeterinnen. So grazil die Insekten auch sind, so gnadenlos können sie sein: Es kommt vor, dass ein Weibchen dem Männchen während des Geschlechtsakts den Kopf abbeisst. Das ist aber durchaus in seinem Sinn.
Es gibt wohl kein eleganteres Insekt. Die vorderen Beine gefaltet wie zum Gebet. Das Haupt grazil gebogen. Der Kopf mit den grossen Komplexaugen folgt den Bewegungen des Gegenübers, dreht sich je nachdem nach links oder nach rechts. Vielleicht deshalb wurden diese Insekten schon in der Antike verehrt, einbalsamiert in kleinen Sarkophagen den Toten ins Grab mitgegeben und auf einen edlen Namen getauft: Gottesanbeterin. Gottesanbeterin und nicht Gottesanbeter. Denn bei diesen Tierchen haben die Weibchen das Sagen. Sie sind grösser und stärker – und sie können die Männchen sogar auffressen. Oft ist dieser bizarre Fakt das Einzige, was Laien über Gottesanbeterinnen wissen. Dabei ergibt der Kannibalismus biologisch durchaus Sinn. Warum das so ist, kann Biologe Matthias Borer gut erklären. Niemand in der Schweiz weiss wohl so viel über Gottesanbeterinnen wie er. Schon mit dreieinhalb Jahren, in den Ferien auf Sardinien, habe er Heuschrecken gefangen. Mit acht Jahren erhielt er dann von einem Freund der Familie seine ersten Gottesanbeterinnen. Sie stammten aus Ghana und der kleine Insektenforscher züchtete sie in Terrarien. Zeitweise wuchs die Anzahl Terrarien bei ihm zu Hause auf 50 an. Natürlich kam dann auch nur ein Berufswunsch infrage: Biologe. Mittlerweile lebt Matthias Borer in Basel und beschäftigt sich hauptberuflich mit Käfern, Gottesanbeterinnen sind aber immer noch sein grosses Hobby.
Bild: Alexandre Scheurer
Trotz Stacheln ein leichtes Opfer

Mit seinen Stacheln scheint dem Igel nichts etwas anhaben zu können. Auch nicht die Tausenden von Milben, Läusen, Zecken und Pilzen in seinem Kleid. Doch Stress und eine gestörte Natur setzen dem Igel zu – er wird zum Frass seiner Parasiten. Dann ist eine Igelstation wie die im st.-gallischen Mels seine letzte Hoffnung.
Brutale Natur – wer Pia Albrecht dieses Stichwort hinwirft, erhält zur Antwort nur einen Satz. «Brutal ist, dass die Natur nicht mehr intakt ist», sagt sie, «das ist brutal.» Sie öffnet die Tür zur Igelstation Mels. Es stinkt aus den Gestellen, die mit feinen Drahtgittertüren verschlossen sind. Pia Albrecht hat es gesagt. Igel riechen streng, Wildtiere eben.
Bild: Shutterstock
Museumsbesuch in Wanderkleidern

Gibt es Outdoorkleider mit Stil? Darüber lässt sich vortrefflich streiten. Fakt ist: Immer mehr Leute tragen ihre Wanderkleider auch im Büro, im Alltag oder bei kulturellen Anlässen. Doch was taugt die heutige Outdoormode? Das Testteam von WANDERN.CH wollte es wissen und ging ins Kunstmuseum Bern – in Wanderkleidern.
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